Der VwGH hat am 18. Jänner 2021 entgegen der Rechtsansicht des BFG entschieden, dass begründungslose Beschwerden, um de facto eine Fristverlängerung zu erwirken, nicht rechtsmissbräuchlich sind. Nach der Rechtsprechung des VwGH, sind sogenannte „Leerbeschwerden“ nicht als unzulässig zurückzuweisen, sondern mit einem Mängelbehebungsauftrag gemäß § 85 Abs 2 BAO zu beantworten.
Im Verfahren geht es um eine Revisionswerberin, die gegen mehrere im Zuge einer Außenprüfung ergangene Bescheide Beschwerden einbrachte. Zur Begründung der Beschwerden führte sie lediglich „Begründung folgt“ aus. Nachdem das Finanzamt der Revisionswerberin Mängelbehebungsaufträge gemäß § 85 Abs 2 BAO erteilte, reichte diese Begründungen zu ihren Beschwerden nach. Das BFG wies die Beschwerden gemäß § 260 Abs 1 lit a BAO als unzulässig zurück. Diese seien bewusst und rechtsmissbräuchlich mangelhaft verfasst worden, um eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erreichen.
Der VwGH erteilt dem BFG mit dieser Entscheidung eine Absage und sieht auch begründungslose Beschwerden einem Mängelbehebungsverfahren nach § 85 Abs 2 BAO als zugänglich an, sofern eine Verlängerung der Beschwerdefrist gemäß § 245 Abs 3 BAO zulässig wäre. Anders als in Verfahren, in denen die Bestimmungen des AVG, VwGVG, VwGG oder der ZPO anzuwenden sind, ist in Verfahren nach der BAO eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist aus berücksichtigungswürdigen Gründen möglich. Damit besteht im Verfahren nach der BAO aber gerade nicht die Gefahr, dass durch die Einräumung der Möglichkeit einer Mängelbehebung bei einer Leerbeschwerde ein Rechtsinstitut erzeugt wird, das die BAO nicht kennt. Folglich sind solche Beschwerden nicht als rechtsmissbräuchlich einzustufen.
In der Praxis werden Leerbeschwerden eingebracht, um über ein Mängelbehebungsverfahren eine faktische Verlängerung der Beschwerdefrist zu erwirken. Der VwGH weist mit diesem Urteil die BFG-Entscheidung klar ab und sieht die Einbringung einer absichtlich begründungslos gelassenen Beschwerde zur faktischen Fristverlängerung als zulässig an. Allerdings kann nach Ansicht des VwGH, der Fristverlängerungsantrag nach § 245 Abs 3 BAO sehr wohl rechtsmissbräuchlich sein. Dieser ist nach dieser Entscheidung zwar auch einem Mängelbehebungsverfahren zugänglich, jedoch nur, wenn dieser selbst nicht missbräuchlich gestellt wird. Unter welchen genauen Umständen ein Fristverlängerungsantrag als missbräuchlich angesehen werden kann, lässt der VwGH unbeantwortet.