EuGH zur Erstattung von zu viel gezahlter Mehrwertsteuer

Im vorliegenden Sachverhalt geht es um einen Land- und Forstwirt (Kläger des Ausgangsverfahrens), der zwischen 2011 und 2013 Holz von verschiedenen Lieferanten erworben und als Brennholz an seine Kunden weiterverkauft hat. Dabei wurde in den Rechnungen seiner Lieferanten der reguläre Mehrwertsteuersatz von 19 % angegeben, während der Kläger den ermäßigten Steuersatz von 7 % an seine Kunden verrechnete. Beide Parteien führten die entsprechenden Steuern an die deutschen Finanzbehörden ab.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung kam das Finanzamt jedoch zu dem Schluss, dass die Verkäufe des Klägers dem Regelsteuersatz von 19 % unterliegen. Im Zuge des Rechtsmittelverfahrens wurde letztendlich entschieden, dass sowohl die Verkäufe des Klägers als auch seine Einkäufe dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen. Auf Basis dieses Urteils wurde der Vorsteuerabzug des Klägers entsprechend gekürzt und das Finanzamt forderte rückwirkend Mehrwertsteuer für die Jahre 2011 bis 2013 zuzüglich Zinsen zurück.

Der Kläger wandte sich an seine Lieferanten, um die Rechnungen zu berichtigen und den Differenzbetrag erstattet zu bekommen. Die Lieferanten verweigerten jedoch die Berichtigung auf Grund der Verjährung nach deutschem Zivilrecht. Daraufhin beantragte der Kläger beim Finanzamt, ihm die nachgeforderte Mehrwertsteuer im Wege der Billigkeit zu erlassen. Dies wurde abgelehnt, da er für die Situation selbst verantwortlich sei. Sein Einspruch gegen die ablehnenden Bescheide wurde ebenfalls abgewiesen.

In weiterer Folge erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht gegen die Ablehnung seines Antrags. Das Gericht äußerte Bedenken hinsichtlich der Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere in Bezug auf steuerliche Neutralität und des Effektivitätsgrundsatzes bei Erstattungsansprüchen. Zudem hegt das Gericht Zweifel, ob den Lieferanten die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung zeitlich unbegrenzt zusteht und diese eine Berichtigung vornehmen könnten, nachdem der Erwerber die Erstattung von den deutschen Finanzbehörden erhalten hat.

Das Finanzgericht setze das Verfahren daher aus und beschloss den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Fraglich ist für das Finanzgericht, ob die Mehrwertsteuerrichtlinie es gebietet, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der zu viel gezahlten Mehrwertsteuer direkt von der Finanzbehörde zusteht, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass diese durch die Lieferanten zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen wird.

Der EuGH bekräftigt einleitend, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein integraler Bestandteil des Mehrwertsteuersystems der EU ist und in der Regel nicht eingeschränkt werden darf. Das System zielt darauf ab, den Steuerpflichtigen vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten und stellt so die Neutralität der steuerlichen Belastung sicher. Grundsätzlich ist es Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Erstattung der Mehrwertsteuer festzulegen. Diese Bedingungen müssen jedoch den Grundsätzen der Gleichwertigkeit und Effektivität entsprechen. Das heißt, sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die das Unionsrecht einräumt, praktisch unmöglich machen. So hat der EuGH beispielsweise schon entschieden, dass der Erwerber die Erstattung der Mehrwertsteuer direkt von den Steuerbehörden verlangen kann, wenn die Lieferanten zahlungsunfähig sind.

Der EuGH betont, dass das Recht auf Erstattung verweigert werden kann, wenn dieses Recht in betrügerischer Absicht oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Allerdings wäre eine vollständige Verweigerung der Erstattung unverhältnismäßig, wenn weder Betrug noch Beeinträchtigung des Staatshaushalts vorliegen, selbst wenn der Steuerpflichtige fahrlässig gehandelt hat.

Unter derartigen Umständen ist der Erwerber daher berechtigt, seinen Erstattungsantrag unmittelbar gegen die Steuerbehörde zu richten.

Die Gefahr einer doppelten Entlastung, sollten die Lieferanten die Rechnung doch berichtigen und einen Erstattungsanspruch gegenüber der Finanzverwaltung erheben, sieht der EuGH nicht, da ein solches Verhalten missbräuchlich wäre und damit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität widerspricht.

Praxisfolgen

Dieses Urteil hat potenziell weitreichende Implikationen für die steuerliche Praxis in den Mitgliedstaaten, da es (weitere) Fragen zur Erstattung von zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer klärt. In Österreich kann eine zu Unrecht (zu hoch) ausgewiesene Mehrwertsteuer grundsätzlich zeitlich unbegrenzt berichtigt werden: Korrigiert der Lieferant seine Rechnung, kann dieser die Mehrwertsteuer vom Finanzamt zurückfordern. Diesen Rückforderungsanspruch hat der Lieferant in dem Zeitpunkt, in dem die Rechnung berichtigt wurde. Spiegelbildlich besteht für den Empfänger die Verpflichtung den Vorsteuerabzug zu berichtigen.

Weigern sich die Lieferanten jedoch, eine Berichtigung durchzuführen, so muss der Empfänger seinen Vorsteuerabzug berichtigen, ist jedoch darauf angewiesen, dass die Lieferanten die Rechnungen berichtigen und ihm die Mehrwertsteuer erstatten. Weshalb sich die Lieferanten im vorliegenden Fall weigerten,  eine derartige Korrektur durchzuführen, ist nicht ersichtlich. Nach diesem EuGH-Urteil ist der Erwerber jedoch nicht mehr auf die Kooperation seiner Lieferanten angewiesen: Wenn es nämlich für den Empfänger von Lieferungen unmöglich oder übermäßig schwierig ist, eine Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer von den Lieferanten zurückzufordern (zB wegen Verjährung seiner zivilrechtlichen Ansprüche und ohne Vorliegen von Betrug oder Fahrlässigkeit), dann kann er seinen Erstattungsanspruch unmittelbar gegen die Steuerbehörde richten.