Der EuGH-Fall vom 17. Mai 2022, C-418/22, SA CEZAM bezieht sich auf einen Rechtsstreit zwischen CEZAM, einer in Belgien ansässigen Gesellschaft, die im Bereich Schreinerei und Glaserei tätig ist, und der belgischen Steuerverwaltung gegen drei Bescheide.
Diese Bescheide wurden CEZAM im Januar und März 2018 zugestellt und beinhalteten unter anderem Geldbußen. Unbestritten ist, dass CEZAM seit Juni 2013 keine Mehrwertsteuererklärungen mehr eingereicht hat und die belgische Steuerbehörde die Steuer für die Jahre 2013, 2014 und 2015 inklusive Geldbußen festsetzte. CEZAM argumentiert unter anderem gegen die Höhe der Geldbußen, die 20 % des Mehrwertsteuerbetrags entspricht, der vor Abzug der Vorsteuer geschuldet worden wäre. Ihrer Meinung nach hätte die Steuerverwaltung den tatsächlich an sie zu entrichtenden Mehrwertsteuerbetrag berücksichtigen müssen, also den Betrag nach Abzug der Vorsteuer. CEZAM argumentiert, dass der von der Verwaltung gewählte Ansatz das Vorsteuerabzugsrecht und das Prinzip der steuerlichen Neutralität verkenne.
Der belgische Staat argumentiert, dass die Sanktion gegen CEZAM für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erklärung und Entrichtung der Mehrwertsteuer verhängt wurde. Diese Pflicht sei für das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems wesentlich, in dem der Steuerpflichtige die Rolle des Steuereinsammlers übernimmt. Durch das Nichtabführen der von ihren Kunden erhobenen Mehrwertsteuer habe CEZAM einen Vorteil auf Kosten des Fiskus erlangt. Darüber hinaus betragen die Geldbußen nur 20 % des Betrags der Mehrwertsteuer, die zu entrichten gewesen wäre. Die Maximalstrafe (im Fall einer Steuerhinterziehung) würde das Doppelte der Mehrwertsteuer vor Abzug der Vorsteuern betragen.
Das vorlegende Gericht wirft jedoch Fragen zur Verhältnismäßigkeit und zur steuerlichen Neutralität der Sanktionen im Licht der EuGH-Rechtsprechung auf und legte sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art 62 Nr 2 sowie die Art 63, 167, 206, 250 und 273 der MwSt-RL sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen die Missachtung der Pflicht zur Erklärung und Entrichtung der Mehrwertsteuer mit einer pauschalen Geldbuße in Höhe von 20 % der Mehrwertsteuer geahndet wird, die vor Abzug der Vorsteuer geschuldet worden wäre.
Der EuGH hält zunächst fest, dass aus den Art 2 und 273 der MwSt-RL iVm mit Art 4 Abs 3 AEUV hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die dazu dienen, die Erhebung der Mehrwertsteuer in ihrem Hoheitsgebiet sicherzustellen und Betrug zu bekämpfen. In Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Sanktionen haben die Mitgliedstaaten das Recht, die ihnen angemessenen Sanktionen zu wählen, müssen dabei jedoch die Grundsätze des Unionsrechts und seine allgemeinen Grundsätze, einschließlich der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität, beachten.
Die vom nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen dürfen daher nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele der genauen Erhebung der Steuer und der Vermeidung von Steuerhinterziehung erforderlich ist. Bei der Beurteilung, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, müssen unter anderem die Art und die Schwere des Verstoßes sowie die Methoden zur Bestimmung der Höhe der Sanktion berücksichtigt werden.
In Anbetracht der Art und der Schwere der CEZAM vorgeworfenen Verstöße und angesichts dessen, dass Sanktionen in Mehrwertsteuersachen wirksam und abschreckend sein müssen, lässt sich nach Auffassung des EuGH nicht feststellen, dass die Verhängung von Geldbußen in Höhe von 20 % der Mehrwertsteuer, die vor Abzug der Vorsteuer geschuldet worden wäre, über das hinausginge, was zur Sicherstellung der genauen Erhebung der Steuer und zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen erforderlich ist.
Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verlangt hingegen, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmte formelle Anforderungen nicht erfüllt hat. Es dürfen keine zusätzlichen Bedingungen gestellt werden, die die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts verhindern könnten. Im vorliegenden Fall stellt der EuGH fest, dass die gegen CEZAM verhängten Geldbußen und die belgischen Rechtsvorschriften, auf denen sie basieren, nicht dazu geeignet sind, das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage zu stellen.
Zusammenfassend kommt der EuGH also zum Schluss, dass die Verhängung von Geldbußen in Höhe von 20 % der Mehrwertsteuer, die vor Abzug der Vorsteuer geschuldet worden wäre, nicht gegen Art 273 der MwSt-RL oder die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität verstößt.
Die endgültige Beurteilung, ob der Betrag der gegen CEZAM verhängten Geldbußen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, obliegt jedoch dem nationalen belgischen Gericht.
Die österreichischen Regelungen hinsichtlich Geldbußen finden sich an mehreren Stellen. Werden Ababenerklärungen zu spät eingereicht, kann ein Verspätungszuschlag (§ 135 BAO) iHv bis zu 10% festgesetzt werden. Für die verspätete Entrichtung von Abgaben kann ein Säumniszuschlag (§ 217 BAO) iHv 2% festgesetzt werden. In beiden Fällen ist Bemessungsgrundlage der nicht fristgerecht erklärte oder entrichtete Abgabenbetrag.
Dies ist aber der um die Vorsteuer gekürzte Umsatzsteuerbetrag. Ergibt sich für den Steuerpflichtigen ein Guthaben, bleibt das Fehlverhalten somit – soweit Verspätungs- und Säumniszuschläge betroffen sind – folgenlos. Auch die 2022 neu eingeführte Verzinsung von Umsatzsteuernachzahlungen bzw -gutschriften (§ 205c BAO), bezieht sich auf den bereits saldierten Betrag.
Die österreichischen Regelungen dürften daher jedenfalls unionsrechtskonform sein.